Eine nicht alltägliche Geschichte

… erlebten die Fahrgäste eines Schättere-Triebwagens an einem Wintersonntag der 60er Jahre bei der Fahrt von Aalen nach Neresheim, dabei meine vierköpfige Familie zu Verwandtenbesuch aufs Härtsfeld. Wie Buben so sind, zog es unseren gleich beim Einsteigen nach vorne, um sehen zu können, was der Triebfahrzeugführer so alles macht. Diesem entging das kindliche Interesse nicht, ein freundlicher Wink, wir durften im Führerstand mitfahren. Während der Junge jede Tätigkeit des Fahrers beobachtete, zog draußen die schöne Winterlandschaft - es hatte nachts geschneit - gemächlich vorbei. Die im Tal lockere Schneedecke wurde dichter und dichter je weiter es den Albtrauf hinaufging. Aus dem Dunkel des Tunnels heraus der verschneite Nadelwald so richtig weihnachtlich schön, bei der Ausfahrt aufs freie Feld vor Ebnat die unberührte, strahlend weiße Schneedecke - Landschaft wie im Bilderbuch! Völlig romantisch dann nach der Station Ebnat beim Anblick der damals noch jungen Fichten am Waldsaum, die, vom Gewicht des Neuschnees zu seltsamen Gebilden niedergedrückt, aussahen, als würden sie sich vor dem herannahenden Zug verbeugen.

Der erfahrene Triebfahrzeugführer sah dies offensichtlich realistischer. Seine ernste Miene und der wortlos hinzugetretene Zugführer ließen ahnen, dass etwas in der Luft lag. Denn bei der Einfahrt in den Märchenwald drosselte der Zug die Geschwindigkeit, vorsichtig tastete sich das Gefährt durch die Gasse der bedenklich tief hereinragenden Baumwipfel. Und nach einer Kurve plötzlich ein hartes Anschlagen und Kreischen der Bremsen, ein Ruck und der Zug stand: Auf den Schienen ein Baum, der durch die Last des Schnees gebrochen und quer auf den Bahnkörper gestürzt war.
Wortlos stiegen die beiden Eisenbahner aus, und während sich die Führerkabine mit neugierigen Fahrgästen füllte und diese berieten, etwa nach Ebnat zurück und per Bus weiterzufahren, stapfte die Zugmannschaft mit Axt und Säge ausgerüstet auf das Hindernis zu. Ein paar kräftige Hiebe mit der Axt legten zwei Stellen von Ästen frei und schon sägten die Männer knieend drauflos. Das sah so gekonnt aus, dass sich die Fahrgäste spaßhafte Bemerkungen nicht verkneifen konnten. Etwa frei nach Busch: "Ritscheratsche ohne Tücke für das Zügle eine Lücke." Und als „die Stimme aus dem Hintergrund''' mit den „Lustigen Holzhackerbuam" dazukam, amüsierten sich die Zuschauer köstlich über die holzmachenden Eisenbahner. Schneller als gedacht zerrten sie das herausgeschnittene Baumstück vom Bahnkörper weg, klopften den Schnee von den Kleidern, verstauten das Werkzeug im Gerätefach und schon ging es weiter.
Als ob dies eben so drollig Erlebte nicht schon genug gewesen wäre, es kam noch ein Zweites dazu. Vor der Haltestelle Brünstholz hielt der Zug scheinbar auf freier Strecke sanft an. Man hatte sich fachmännisch kurz verständigt: „Vorziehen zum Einstellen nachher." Aha! Auf dem völlig verschneiten Holzladeplatz stand, da kein Gleis mehr zu erkennen war, einsam und verlassen wie in einer Wiese ein mit Holz beladener Güterwagen. Man wollte diesen bis zur Weiche her vorziehen, um ihn bei der Rückfahrt nach Aalen rascher anhängen zu können. Während sich der Fahrerraum wieder mit Neugierigen füllte, fegte der Zugführer mit dem Besen schwungvoll Stellhebel und Weiche vom Schnee frei, dass es nur so stob, was die Spaßvögel erneut belustigte.

Als an einem Schneehubbel eine Gleissperre zum Vorschein kam, der angefrorene Sperrschuh sich aber nicht abheben ließ, unterstützte man den guten Mann symbolisch mit gemeinsamem „Ho ruck, ho ruck!" Vergebens. Ein Hammer aus dem Werkzeugkasten musste her. Auch kräftige Schläge gegen den Klotz rührten diesen nicht. Nach einem wohl etwas zu heftigen Schlag schallendes Gelächter: Der Zugführer stand kurz verdutzt dort mit dem Hammerstiel in der Hand, das Eisen war im Bogen davon geschwirrt, ein Loch in der Schneedecke zeigte, wo es untergetaucht war. Dort scharrte der Mann es aus und stapfte zum Zug zurück. Wieder lustige Bemerkungen über das „Was-nun?" Aber offensichtlich kein Problem für einen Eisenbahner der Härtsfeldbahn. Energischen Schrittes, eine Brechstange geschultert, ging es nun auf den widerspenstigen Sperrschuh los. Ein gekonnter Hebelruck mit dem Gerät und das war's. Vorziehen des Wagens und Weiterfahrt nach Neresheim verliefen nunmehr ohne weitere Vorkommnisse.
Die auf dem Bahnhof wartenden Leute brauchten nach dem Grund der verspäteten Ankunft des Zuges nicht erst zu fragen, das eben so lustig Erlebte gestikulierend schildern zu dürfen bereitete den Angekommenen erneut schmunzelndes Vergnügen. Wegen der Verspätung wie üblich kein böses Wort und erst recht nicht nach einem solch nicht alltäglichen Erlebnis. Die ganze Geschichte, an die man sich in unserer so hektisch gewordenen Zeit zwar immer noch gerne, aber eher wehmütig erinnert, echt Schättere! Wie schade, dass es das Bähnle so nicht mehr gibt.

Franz Morbitzer (Aalen)