Rollwagen Ua 9801 neben der Werkstatt in Stansstad im August 2010. (Foto: Hannes Ortlieb)

Ende August 2010 kam ein neuer Fahrzeugtyp bei der Härtsfeldbahn an, den es hier bisher noch nicht gegeben hat: Ein Rollwagen, der bisher seinen Dienst in der Schweiz verrichtet hat und dort überflüssig wurde. Die Tragkraft des Rollwagens ist beachtlich, und die Geschwindigkeitsangaben von 50 km/h beladen und 60 km/h leer zeigen, dass der Güterverkehr auf den Schweizer Meterspurbahnen etwas zügiger als bei uns abgewickelt wurde. 

Geschichtlich ist das Fahrzeug etwas Besonderes, denn es handelt sich um den ersten Rollwagen, der für die Brünigbahn-Talstrecken Interlaken - Meiringen bzw. Luzern - Giswil gebaut wurde. Zugleich war dieses Fahrzeug der erste gefederten Rollwagen in der Schweiz. Denn nur durch die Federung waren die relativ hohen Geschwindigkeiten leistbar. Ungefederte Rollwagen waren in der Schweiz ab 1909 im Einsatz. Die ersten gefederten Rollwagen sind vermutlich ab 1906 in Sachsen in den Einsatz gekommen. Als Hersteller wird "Chur" genannt, was mit keinem der bekannten Hersteller in Verbindung gebracht werden kann. Bei der Brünigbahn wurde der Rollwagen mehrfach an die Verhältnisse angepasst, das letzte Mal 1980.

Was macht aber dieser Rollwagen bei der Härtsfeld-Museumsbahn? Ein historisches Vorbild hat er ja nicht. Des Rätsels Lösung: Er dient als reines Arbeitsdienstfahrzeug.

Da sich unter unserer Bahntrasse zum Teil ein Abwasserkanal befindet, muss dieser gelegentlich gespült und mit Spezialkameras untersucht werden. Die dazu notwendigen Untersuchungsfahrzeuge müssen auf irgendeine Art dazu auf die Bahntrasse kommen. Dazu erhielt der Rollwagen eine 2,50 Meter breite Plattform aufgesetzt, auf der die LKW an ihren Einsatzort gebracht werden. Zu diesen Einsätzen kam es dann jedoch nie, da die heutigen Spül- und Diagnosefahrzeuge eine ausreichend lange Leitung haben, um von der nächstbesten Stelle neben dem Gleis aus die Inspektion durchzuführen. Das Fahrzeug wird deshalb für den Transport von Baumaterial und Baumaschinen sowie hauptsächlich zur Vegetationspflege eingesetzt. 


Exkurs: Rollwagen und Rollböcke

Wie schon geschrieben hat der Rollwagen kein historisches Vorbild auf dem Härtsfeld. Traditionell kamen hier stets nur Rollböcke zum Einsatz. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Formen des Aufschemelns von normalspurigen Wagen auf Schmalspurgestelle besteht darin, dass ein Rollwagen auf Drehgestellen ruht, verbunden durch Längsträger, auf dem dann die Räder des normalspurigen Wagens aufgerollt werden. Auf diesem Längsträger werden die Räder durch Radvorleger festgelegt, wie sie auf dem Foto oben zu erkennen sind. Rollböcke hingegen sind zweiachsige Fahrgestelle für einzelne Radsätze und erfordern auch mehr körperlichen Einsatz für das Sichern des Radsatzes sowie ein Verlegen des Luftschlauches für die Druck- oder Saugluftbremse. Bei Drehgestellwagen ist ein Mindestachsstand im Drehgestell erforderlich, damit zwei Rollböcke direkt nebeneinander Platz finden. Bei Rollwageneinsatz erhält jedes Drehgestell typischerweise einen eigenen Rollwagen. Normalerweise wurden entweder Rollböcke oder Rollwagen eingesetzt, da auch die Verladeanlagen unterschiedlich aufgebaut sind: Rollwagen benötigen nur eine Kopframpe und die Fahrzeuge werden im Zweifel über mehrere Rollwagen hinweg an ihre Position gefahren. Rollböcke werden hingegen mittels einer Grube unter die aufzubockenden Radsätze gebracht. Rollböcke sind naturgemäß platzsparender in der Aufbewahrung. 

Anpassung an neue Aufgaben

Bevor das Fahrzeug vom selben Ort wie unsere Diesellokomotive Jumbo nach Neresheim gebracht werden konnte, mussten im August 2010 in der Zentralbahnwerkstatt Stansstad die Radsätze auf die deutsche Norm abgedreht werden. Da in Stansstad eine Unterflurdrehbank vorhanden ist, konnte dies zum Glück ohne Ausbau der Achsen einfach mittels einer passenden Schablone durchgeführt werden. In der Schweiz werden höhere Spurkränze verwendet, was aber in unseren Weichen und vor allem in den Bahnübergangsrillen zu Problemen hätte führen können und außerdem nicht regelwerkskonform gewesen wäre. Nach seiner Überführung nach Neresheim wurden die automatischen GF-Kupplungen, wie sie bei der Zentralbahn verwendet werden, abgebaut. Wie bei den Rollböcken erhält der Rollwagen keine reguläre Zug- und Stoßvorrichtung, sondern wird mittels einer Kuppelstange mit einem Triebfahrzeug verbunden. Im Gegensatz zu den Rollböcken, welche mit der normalen Mittelpufferkupplung unserer Fahrzeuge verbunden werden, ist die Kuppelstange des Rollwagens mit einer einfachen Öse ausgestattet, um sie in eine Rockinger-Lkw-Kupplung einzusetzen. Aus diesem Grund hat die Diesellokomotive Jumbo eine solche unterhalb der normalen Mittelpufferkupplung erhalten. Es ist jedoch auch möglich, die Kuppelstange der Rollböcke zu verwenden, was beim Einsatz mit dem T33 notwendig ist.

Mangels ausreichendem Eigengewicht muss der Rollwagen auf der Unterflurdrehbank festgespannt werden. Die Späne fliegen: der Spurkranz wird verschmälert. (Fotos: Hannes Ortlieb)

Rollwagen mit aufgesetzter Containerplattform vor dem Neresheimer Lokschuppen 2013. (Foto: Hannes Ortlieb)

Für den Transport von Fahrzeugen wurde eine Containerplattform auf dem Rollwagen aufgesetzt und eine Auffahrrampe gebaut.

Hier ist zum ersten Test im Oktober 2013 nur ein VW-Bus die Rampe hinauf gefahren, aber auch unser Radlader war da schon probehalber drauf. (Foto: Gerald Stempel)

Die Plattform trägt 28 Tonnen, bei einem Eigengewicht von 1,6 Tonnen. Sämtliche Anbauteile wurden ohne Änderungen am Fahrzeug oder am Containerboden an vorhandenen Befestigungsmöglichkeiten angebaut, um keine zulassungsrelevanten Änderungen an der Fahrzeugstruktur zu erzeugen. Die Plattform selbst ist auf Containerhalterungen aufgesetzt und kann so jederzeit angenommen werden, ist aber stabil verankert. Theoretisch könnten wir jetzt auch in den Containertransport mit 20 Fuß-Containern einsteigen. Doch der Rollwagen soll nicht nur für Transporte dienen. Um unsere Vegetationskontrolle zu erleichtern, haben wir ein gebrauchtes Mulag-Mähgerät mit Schlegelmähwerk, wie man es von Straßenmeistereien kennt, auf einen Tragrahmen mit Containerecken montiert. Zum Antrieb des Mähgerätes, das normalerweise auf einem Unimog montiert ist und dort über die Zapfwelle angetrieben wird, mussten ein 130 PS-Motor und eine Bedienerkabine auf den Rahmen montiert werden. Die ersten Testfahrten verliefen schon recht vielversprechend, auch wenn es noch einige Kinderkrankheiten gab. So überhitzte der Motor anfangs, da die Kühlleistung nicht ausreichte. Durch den Einbau eines zweiten Kühlers und stärkerer Ventilatoren bekamen wir das aber in den Griff. Die Hydraulik wird mit Rapsöl betrieben, Mineralöl wollen wir dazu im Naturschutzgebiet nicht einsetzen.
Noch nicht ganz zufrieden sind wir mit der Entsorgung des Schnittguts, welches wir vorläufig an den Dammfuß blasen. Uns schwebt vor, es in einen Container zu blasen und einer Biogasanlage zuzuführen, aber dafür haben wir bisher keinen Abnehmer gefunden.

Die Einsatzseite des Mähwerks muss durch einen kleinen, etwa halbtägigen Umbau festgelegt werden und kann daher nicht flexibel im Einsatz geändert werden.

Xw 209 noch in Aufarbeitung im März 2007.  Zwei Mulag-Mähwerke als "Bastelvorrat" auf unserem Gelände im Jahr 2013.
Schweißarbeiten am Rahmen des Mähwerks im Neresheimer Lokschuppen im Winter 2013/14.  Erste Stellproben mit Kabine und Mähwerk auf dem verschweißten Rahmen.
Erster Testeinsatz Anfang Juni 2014 auf dem Neresheimer Klosteracker. Weitere Zurüstarbeiten, im Vordergrund die Antriebseinheit.
Mit weiteren Zurüstteilen wie Auswurfrohr, Treppe und hochgesetzter Kabine im März 2015. Aufsetzen des Xw-Gestells auf den Rollwagen am 13.02.2016. (Alle Fotos: Hannes Ortlieb)

Anstelle der Containerplattform kann das Fahrgestell des Kranwagens Xw 209, den wir schon in den 90er Jahren von der Stuttgarter Straßenbahn AG erworben haben, aufgesetzt werden. Dieser kam mangels passender Radsätze nie selbständig zum Einsatz. Mit dem angebauten Meiller-Kran und der prinzipiell kippbaren Mulde mit seitlich aufklappbaren Bordwänden können Bauteile, Maschinen wie auch Schütt- und Schnittgut transportiert werden. Für den Kran haben wir einen Schalengreifer, er kann beiderseits des Gleises zugreifen.

 Kranmulde des ehemals selbständigen Xw 209 auf der linken Seite des Rollwagens und das Mähwerk auf der rechten Seite im August 2020 im Einsatz am Haltepunkt Iggenhausen. (Foto: Hannes Ortlieb)

Heutiges Einsatzgebiet

Inzwischen hat sich die Arbeit mit dem Mähwerk eingespielt und es kommt im Verband mit der Diesellokomotive Jumbo zum Einsatz, da dieser im Gegensatz zu T33 bei längerer Langsamfahrt im Schritttempo und darunter nicht zum Überhitzen des Getriebes neigt. Drei Mann sind hier normalerweise zusammen im Einsatz: Ein Lokführer auf der Diesellok, ein Mähwerksbediener in der Kabine und ein Einweiser und Rangierbegleiter, der Lokführer und Mähwerksbediener Hinweise auf Gegenstände gibt, die das Mähwerk nicht überfahren sollte. Lokführer und Mähwerksbediener haben Funkkontakt. Die Bedienung des Mähwerks erfolgt über zwei Joysticks. Sofern das Mähwerk keine technischen Probleme macht, was leider bei einem Gerät Marke Eigenbau in Kombination aus mehreren gebrauchten Komponenten auf Dauer nicht auszuschließen ist, schafft das Team bis zu 7.500 Meter einstreifig am Tag zu mähen, wobei einstreifig einen Streifen in Breite des Mähkopfes bedeutet. Je nach Höhe des Bahndamms sind stellenweise jedoch bis zu drei Schnitte nebeneinander erforderlich. Zu beachten ist außerdem, dass das Mähwerk nicht im Bereich des Schotterbetts eingesetzt werden kann, größerer Bewuchs muss hier weiterhin händisch entfernt werden. Das Mähtempo wird durch die Hektometertafeln und andere Tafeln im Gleisbereich gehemmt. An diesen muss es im Zweifel aussetzen und es muss mit einer Motorsense nachgearbeitet werden. Trotzdem ist das Arbeitstempo deutlich höher im Vergleich zu einem Menschen mit Motorsense, welcher beispielsweise nur für die Talseite des Bahndamms auf dem Klosteracker in unbequemer Hanglage einen ganzen Nachmittag benötigt hat. 

Das Mähwerk im Einsatz am Haltepunkt Steinmühle im Juni 2020. Der Bediener sitzt in der ehemaligen Baggerkabine, der Einweiser mit Visier davor. Von der anderen Seite betrachtet ist in der Bildmitte, in einem Rahmen untergebracht, der Mercedes-Pkw-Diesel erkennbar, welcher die Hydraulik des Mähwerks antreibt. Dahinter in gelb das Gestell des Kranwagens Xw 209 mit seinem Kranausleger. (Fotos: Dr. Walter Gekeler)

Für das Problem der Humusbildung im Gleisbereich, welcher insbesondere entlang von Wäldern durch sich zersetzendes Laub in schattigen Bereichen entsteht, ist ein Saugapparat im Bau, der anstelle des Mähkopfes angesetzt werden kann, denn eine saugkräftige Turbine hat das Mähwerk bereits.

Einsammeln von Schnittgut im Egautal bei der Sägmühle mit dem Kranaufbau und seiner Mulde im Frühjahr 2018. (Fotos: Hannes Ortlieb)

Technische Daten

Typ Ua
Baujahr 1915
Stationierungen 1915 - 2004: SBB Brünigbahn (Luzern - Interlaken)
2004 - 2010: SBB Cargo AG/Die zentralbahn AG, Stansstad
seit 2010: Härtsfeld-Museumsbahn e.V., Neresheim, Überführung am 30./31. August
Länge über Puffer 10.084 mm (Bezugspunkt: ehemalige GF-Automatikkupplung in der Schweiz)
Radstand 1.200 mm
Drehzapfenabstand 5.500 mm
Leermasse 9,7 t
Zuladung 42,0 t (Streckenklasse A)
Höchstgeschwindigkeit 50 km/h (beladen) / 60 km/h (leer)
Bremsbauform Druckluftbremse
Bremsgewicht 10 / 18 / 27 t (stufenweise verstellbar)